Unterschiede zur herkömmlichen Kita
Balancieren, klettern, über Wurzeln springen: Für Kinder klingt das nach jeder Menge Spaß. Einige Eltern haben hingegen Bedenken: Werden die Kids im Winter nicht frieren? Was ist, wenn es regnet? Und wie schützt man die Kleinen im Sommer vor Zecken? Wir haben eine Mutter gefragt, die es wissen muss: Bloggerin Anke von gemuesebaby.de spricht über ihre persönlichen Betreuungs-Erfahrungen in einem Waldkindergarten.
Ein Waldkindergarten verzichtet auf feste Räumlichkeiten und verlegt seine Aktivitäten in die freie Natur, hauptsächlich in den Wald. Das bedeutet, die Kinder verbringen zu jeder Jahreszeit und zu (fast) jeder Witterung ihre Zeit im Freien. Für den Fall, dass das Wetter mal sehr schlecht ist, gibt es eine beheizbare Unterkunft in der Nähe des Waldgebietes, in welcher Kinder und Erzieher Schutz und Aufenthaltsmöglichkeit finden. Hierzu dienen in der Regel ein beheizter Bauwagen oder eine Waldhütte. Wichtig zu wissen: Jeder Träger – ob Kommune, Kirche oder Elterninitative – entwickelt ein eigenes Konzept und schafft dadurch individuelle Rahmenbedingungen.
Was sich für viele Erwachsene zunächst ungewöhnlich anhören mag, bedeutet für die Kinder nach kurzer Eingewöhnungszeit vor allem Spaß. Gerade bei „Schmuddelwetter“, wo sich Erwachsene gern nach drinnen verkriechen, springen die Kids begeistert durch jede Pfütze. Jeder Tag, egal welche Jahreszeit oder welches Wetter gerade ist, bringen einen Wandel mit sich, der den Alltag für die Kinder abwechslungsreich macht und sie täglich etwas Neues entdecken lässt. Denn im Waldkindergarten wird in der Regel auf handelsübliches Spielzeug verzichtet – die Kinder spielen mit Naturgegenständen, die sie in ihrer Umgebung finden. Je nach Einrichtung stehen in den Bauwagen oder Hütten auch handelsübliche Spiele und Bücher zur Verfügung.
Die vorgeschriebene Gruppengröße liegt bei einem Waldkindergarten übrigens bei 15 bis 20 Kindern, die von mindestens zwei staatlich anerkannten Erziehern beaufsichtigt werden müssen. Im normalen Kindergarten liegt die zulässige Gruppengröße oft etwas höher und wird von den Bundesländern festgelegt.
Die Idee des Waldkindergartens entstand in den 1950er Jahren in Dänemark, als eine Mutter mit ihren Kindern und den Nachbarskindern regelmäßig viel Zeit im Wald verbrachte. Die Vorstellung, die Kinderbetreuung in die Natur zu verlegen, fand schnell Anklang bei anderen Eltern. Interessierte Familien schlossen sich zusammen und gründeten eine Initiative, die den ersten Waldkindergarten ins Leben rief – eine Idee, die sich im skandinavischen Raum schnell ausbreitete.
In Wiesbaden entstand 1968 der erste Wald- und Naturkindergarten Deutschlands. Die Begründerin Ursula Sube organisierte diesen privat, erhielt für dieses Betreuungskonzept jedoch nie eine offizielle Genehmigung vom zuständigen Jugendamt. Erst in den 1990er Jahren eröffneten die ersten anerkannten Waldkindergärten Deutschlands. Seitdem gibt es insbesondere in Gebieten mit viel Wald staatlich anerkannte und geförderte Waldkindergärten.
Wetterfeste Outdoorkleidung und robustes Schuhwerk sind ein Muss für Waldkinder. Gerade bei Dauerregen ist es essenziell, dass Regenjacke, Matschhose und Schuhe wirklich wasserdicht sind. Bewährt hat sich der Zwiebel-Look: Mehrere Schichten übereinander wärmen zuverlässig und die Kids können bei steigenden Temperaturen im Laufe des Tages etwas ausziehen.
Vor der Geburt meines Sohnes Noah hatte ich mich nicht groß mit dem Thema beschäftigt. Im Laufe der Zeit hat er uns jedoch schnell gezeigt, dass es genau das Richtige für ihn ist: In der Natur war er schon immer am glücklichsten. Schon als Baby und Kleinkind waren wir immer draußen an der frischen Luft. Im Wald konnte er seinen Freiheitsdrang ausleben.
Eigentlich hatten wir geplant, Noah mit einem Jahr in eine Krippe zu geben. Das lief jedoch ordentlich schief und hat überhaupt nicht zu uns gepasst. Es hat ihm nicht gefallen und ich denke, es war einfach zu früh für ihn. Zudem mochte er es nicht, in geschlossenen Räumen mit viel Lärm zu sein – deshalb musste eine Alternative her.
Leider arbeiten bei uns alle Großeltern noch. Nach der Krippenerfahrung kam für uns keine andere Betreuung mehr in Frage – hätte der Waldkindergarten nicht geklappt, hätte ich Noah zu Hause betreut und weiter frei gearbeitet. Ein „normaler“ Kindergarten stand nicht mehr zur Debatte.
Noah kam mit 2,5 Jahren in die „kleine“ Waldgruppe. Jeden Tag wurde er hier bis mittags von einer Erzieherin und jeweils einem Elternteil betreut. Ab 3,5 Jahren war er dann jeden Tag 5 Stunden im Wald. Der Waldkindergarten war ein großes Glück und die beste Entscheidung für uns! Noah hat so viel gelernt – nicht nur in der Interaktion mit anderen Kindern, auch über die Natur und die Tiere. Unser Waldkindergarten war nämlich genau genommen ein Naturkindergarten. Das bedeutete, es gab auch viele Tiere: Alleine um die 200 Schafe, die dabei helfen, die Wiesen zu bewirtschaften. Dazu noch Esel, Pferde, Hühner, Katzen und der Hund einer Erzieherin. Die Kinder helfen dort auch richtig mit, treiben die Schafe auf eine neue Wiese, pflücken Äpfel und keltern. Sie sind beim Schafescheren dabei und füttern zur Lämmerzeit die Kleinen morgens mit der Flasche.
Im Waldkindergarten lernen die Kinder durch alltägliche Dinge. Beim Spazierengehen, Balancieren und Stöckesammeln wird die Grob- und Feinmotorik ganz von alleine gefördert. Dazu haben die Kinder kaum Spielzeug und sind unheimlich kreativ. Steine und Äste werden zu Autos oder Tieren und die Kinder müssen viel im Gespräch sein, um zu erzählen, was sie sich ausgedacht haben. Auch das fördert. Toll fand ich auch, dass sie immer mal wieder im Wald über dem Feuer gekocht haben, zum Beispiel eine wirklich leckere Brennnessel-Suppe mit selbst gesammelten Zutaten.
Außerdem finde ich es toll, wie intensiv die Kinder die Jahreszeiten und die sich verändernde Natur erleben. Sie häufen in jungen Jahren Wissen an, das so mancher Erwachsener nicht einmal hat. Tatsächlich hat sich Noah auch kein einziges Mal über das Wetter beschwert. Wenn ich dann mal über den Regen klagte, erklärte er mir: Über den Regen freuen sich die Pflanzen. Das berührte mich sehr. Generell empfinde ich es so, dass die Zeit im Waldkindergarten ihn für sein weiteres Leben gestärkt hat. Auch jetzt noch gehen wir bei jedem Wetter raus und fahren täglich Fahrrad.
Leider ja, wie überall derzeit. Wir hatten damals noch einen weiteren Waldkindergarten zur Auswahl, bei dem es mehrere Bewerbungsrunden gab: Tag der offenen Tür, Bewerbungsbogen ausfüllen und Einzelgespräche. Das war schon heftig. Schließlich hatten wir das große Glück, ganz zufällig in die kleine Waldgruppe unseres Naturkindergartens zu rutschen. Oft sind die Plätze nämlich schon durch Geschwisterkinder besetzt.
Bereits am ersten Tag, als wir gesehen haben, wie glücklich Noah ist, war uns klar: Das ist die richtige Entscheidung! So glücklich und frei hat er sich sonst selten in Kindergruppen bewegt. Oft wurde mir gesagt – oder vorgeworfen –, wir könnten uns nicht voneinander trennen, ich würde mich nicht lösen können, sei überbehütend. Dabei war es einfach nie der richtige Ort für meinen Sohn. Hier im Wald hat er sich sicher gefühlt – und das war der Knackpunkt. Er konnte sich in seinem Tempo von mir lösen, die Eingewöhnungszeit war überhaupt kein Problem. Die Erzieher waren viel gelassener – man musste sich nicht strikt an einen vorgeschriebenen Zeitplan halten. Wenn ein Elternteil einen Tag länger bei der Eingewöhnung dabei war, war das auch kein Problem.
Einfach schauen, was zum eigenen Kind passt. Der Waldkindergarten ist nicht für jeden das Richtige. Es gibt bestimmt auch Kinder, die nicht so gern draußen unterwegs sind. Prinzipiell waren aber alle Typen von Kindern vertreten: Wilde und verträumte, Mädchen und Jungs. Man sollte sich außerdem nicht von Dingen wie dem Wetter beirren lassen. Kinder nehmen die Natur erfahrungsgemäß einfach so an, wie sie ist.
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